Der Beckenboden – dein starker, treuer Begleiter.

Viele Darstellungen des Beckenbodens in Büchern oder an Modellen können irreführend sein: Oft wird die Beckenbodenmuskulatur hängend dargestellt – wie eine Schale oder Hängematte, in der die Beckenorgane liegen. So hat man es bei anatomischen Präparaten gesehen und so wurde es in die Lehrbücher übertragen.

Muskulatur, die wie eine Hängematte durchhängt? Das klingt ja nicht gerade nach Muskeln, auf die frau sich verlassen kann, oder? Wie soll diese „hängende“ Muskelgruppe starken Drücken im Bauchraum, wie sie zum Beispiel beim Niesen zustande kommen, standhalten? Würde eine solche Bauweise denn tatsächlich Sinn machen? Da stimmt doch etwas nicht, haben sich Wissenschaftler schon 1997 gedacht und damals Untersuchungen – nicht an Präparaten, sondern an lebendiger Beckenbodenmuskulatur – gemacht. Und sie haben etwas sehr Wichtiges festgestellt: Der Beckenboden hat vielmehr die Form einer Kuppel! Diese Kuppel-Form wurde also schon vor 20 Jahren in MRT-Untersuchungen nachgewiesen. Leider dauert es, bis diese Erkenntnis auch in den Lehrbüchern (und in den Köpfen) angekommen ist. (1)

Nichtsdestotrotz ist das eine tolle Erkenntnis: Durch die kuppelförmige Bauweise kann die Beckenbodenmuskulatur intraabdominelle Drücke optimal abfangen und gibt den Beckenorganen stabilen Gegenhalt. Bei spontanen Druckerhöhungen – wie Niesen, Husten, Lachen, Laufen, Springen, Heben – reagiert der Beckenboden dann reflexhaft und verhindert, dass unkontrolliert Urin, Winde oder Stuhl abgehen.

Meistens jedenfalls.

Dieses sonst so starke System kann nämlich auch aus dem Gleichgewicht kommen – dann hilft fachgerechte Physiotherapie und ein genauer Blick auf Alltag und Sport!

Der Beckenboden als Teil des Körperkerns

Bei Beckenbodenbeschwerden sollte die Beckenbodenmuskulatur nie separat betrachtet werden. Sie ist Teil von größeren Muskelketten und funktionell verbunden mit Hüft-, Gesäß-, Bauch-, Rücken- Zwerchfell- und Kiefermuskulatur.

Ja, richtig gelesen. Auch das Kiefer spielt mit. Zähneknirschen tritt bei Beckenbodenproblemen zum Beispiel als häufige Begleiterscheinung auf.

Der Beckenboden ist eng eingebunden in die Funktion dieser Muskelketten. Ist auch nur ein Glied davon beeinträchtigt, kann das ganze System aus dem Gleichgewicht geraten. Die Kraft und Funktion der Beckenbodenmuskulatur wird also ganz maßgeblich durch ihre umgebenden Muskeln und Bindegewebe beeinflusst! Und vice versa: Rückenschmerzen können auch ein Zeichen für einen schwachen Beckenboden sein.

Bei Problemen mit dem Beckenboden – wie zum Beispiel Inkontinenzbeschwerden – stellt sich erst mal die Frage: Wie stark ist mein Körperkern eigentlich und wie aktiv ist mein Lebensstil?

Leider verbringen die meisten von uns zu viel Zeit passiv, in sitzender Position. Und Sitzen ist ja nicht gerade das, wofür der menschliche Körper gebaut wurde. Durch häufiges, langes Sitzen werden Hüft-, Rumpf- und Gesäßmuskeln schnell schwach, verkürzt und verklebt. Das beeinträchtigt dann auch die Funktion des Beckenbodens. Da bringt das beste Therapieprogramm nur begrenzte Ergebnisse, wenn Betroffene die restlichen 15 Stunden des Tages in ungünstiger, passiver Körperhaltung verbringen. Wenn die Beine nur Mittel sind, um zur nächsten Sitzgelegenheit zu kommen, ist das eine schlechte Voraussetzung für den Beckenboden.

In der Therapie von Beckenbodenbeschwerden wird also gerne erst mal am Lebensstil, an der Körperhaltung und der Stabilität der Rumpfkapsel angesetzt. Schaffst du es denn eigentlich, 10 Minuten lang aufrecht auf einem Sessel zu sitzen? Sinkt dein Becken im Stand gern auf einer Seite ab, sodass dein Gewicht nur auf ein Bein verlagert ist? Lehnst du dich im Stand oft irgendwo an? Oft mangelt es schon an der dafür notwendigen Tiefenstabilität, um über längere Zeit aufrecht zu stehen oder sitzen.

Die gute Nachricht: Allein durch deine Körperhaltung kannst du schon die Aktivität deines Körperkerns beeinflussen. In aufgerichteter Haltung sind Beckenbodenmuskulatur und tiefe Bauchmuskeln nämlich deutlich aktiver, als in zusammengesunkener, passiver Haltung. (2)

Also – wann immer du sitzt: Sitze aufrecht. Wann immer du stehst: Stehe aufrecht. Das Gewicht soll auf beiden Beinen verteilt bleiben. Mach dich groß, setz dir deine imaginäre Krone auf! Diese Aufrichtung aktiviert schon mal wichtige Muskeln. Und: Versuche, viel zu Gehen. Tu dir und deinem Körperkern etwas Gutes, geh öfters mal eine Runde Spazieren, steige eine Station früher aus der U-Bahn aus, komm in Bewegung! Denn beim Gehen wird der Beckenboden ganz natürlich in seiner Funktion gefordert und dadurch ganz unbewusst und indirekt trainiert.

Wie aktiv ist dein Lebensstil? (Photo by Pexels.com)

Training von Rumpf und Beckenboden will gelernt sein

Wie schon erwähnt, spielt die Verbesserung der Rumpfkraft für den funktionierenden Körperkern eine große Rolle. Klassische Bauchmuskelübungen – wie zum Beispiel Crunches – sind dann aber alles andere als hilfreich. Sit ups und Crunches können dem geschwächten Körperkern und Beckenboden schaden, weil bei diesen (eher unnatürlichen) Bewegungen die Aktivierung der tiefenstabilisierenden Muskeln erschwert ist. Dabei entsteht intraabdomineller Druck im Körper, der einen geschwächten Beckenboden nur noch weiter belastet.

Also: Keine Sit-ups und Crunches, insbesondere nicht bei Beckenbodenbeschwerden, nach Bauchoperationen, in der Schwangerschaft oder bei einer (unbehandelten) Rektusdiastase.

In fachgerechter Behandlung lernst du geeignetere Übungen, die die Stabilität deines Körperkerns verbessern und so auch Belastungen auf den Beckenboden besser abgefangen werden können. Und nicht zuletzt wird dabei auch das richtige Atmen erlernt. Dabei ist einer der wichtigsten Punkte niemals den Atem anzuhalten, oder zu pressen. Versuche bei körperlicher Belastung, im Alltag (und auf der Toilette!) bei der Anstrengung auszuatmen – das reduziert den Druck auf den Beckenboden deutlich!

Und auch beim Beckenbodentraining gibt es Einiges zu beachten.

Insbesondere bei Inkontinenz- und Senkungsproblemen kann Beckenbodentherapie sehr gut helfen. Keine Frau muss sich mit einer Senkung oder Inkontinenz „abfinden“, lass dir das nicht einreden! Diese Beschwerden gehören behandelt und können oft sogar komplett rückgängig gemacht werden.

In den Leitlinien der Internationalen Kontinenzgesellschaft wird fachgerechtes Beckenbodentraining mittlerweile als Therapieoption erster Wahl empfohlen. Bis vor kurzem war es leider noch die operative Maßnahme!

Dabei spielt dann natürlich auch das klassische Beckenbodentraining, also die oft als „Kegel-Übungen“ bekannten konzentrischen Spannungsübungen, eine große Rolle. Wichtig ist aber, die Übungen richtig durchzuführen, damit die Spannung in die Körpermitte hinein gerichtet ist und nicht schlimmstenfalls sogar nach unten gedrückt wird, was den Beckenboden noch mehr schwächt. Wenn du dir nicht sicher bist, ob du deinen Beckenboden richtig anspannst, lass es lieber einmal von einer spezialisieren Therapeutin oder Frauenärztin kontrollieren!

„Kegel-Übungen“ beziehen sich leider ausschließlich auf das Anspannen –  der Beckenboden braucht für eine gesunde Funktion (wie jeder andere Muskel auch) aber sowohl An-, als auch Entspannung. Für eine gute Muskelfunktion muss die Muskulatur be- und entlastet werden. Denn durch ausschließliches Anspannen kann der Beckenboden letztendlich auch verspannt werden, was Inkontinenzprobleme wiederum verstärken kann.

Ganz schön komplex, oder?

Beckenbodentherapie ist jedenfalls weit mehr, als die klassischen Kegel-Übungen, sie sollte immer über die klassischen, konzentrischen Beckenbodenübungen hinausgehen! Bei Funktionsstörungen des Beckenbodens wird der ganze Organismus betrachtet und oft lassen sich die Ursachen an ganz anderen Stellen finden.

Bei Beschwerden an der Beckenbodenmuskulatur ist es wichtig, Therapie zu machen, denn spezialisierte Therapeutinnen können dich individuell beraten, Trainingspläne erstellen, manuelle Behandlungen durchführen und unterstützen dich auf deinem Weg zurück zu deinem starken Fundament!

Verhalten auf der Toilette

Nun ziehen wir uns kurz noch an das stille Örtchen zurück. Wusstest du, dass dein Verhalten auf der Toilette zur Gesundheit deines Beckenbodens beitragen kann?

Das Wichtigste auf der Toilette ist: Entspannen und atmen. Drück auf keinen Fall mit – weder beim Stuhlgang, noch beim Harnlassen.

Lass die Entleerungsreflexe von Blase bzw. Darm möglichst alleine arbeiten. Wenn du beim Urinieren oder bei Stuhlgang presst, schadet dies der Funktion deiner Bauchorgane und deinem Beckenboden. Lass dir Zeit, stress dich nicht.

Stell deine Füße beim Stuhlgang auf einen Schemel und mach deinen Rücken rund (‚Po ins Klo!‘), das bringt deinen Darm in eine günstigere Position für die Entleerung. Nimm beim Urinieren im Gegensatz dazu eine aufrechte Haltung ein, dies bringt wiederum Blase und Harnleiter in die optimale Position für die Entleerung.

Leider kursiert – auch in medizinischen Fachkreisen – nach wie vor die schreckliche, schädliche Empfehlung, den Harnstrahl regelmäßig beim Urinieren abzubrechen. Da stellt es mir die Haare auf! Tu dies auf gar keinen Fall, diese ‚Übung‘ schadet der Entleerungsfunktion der Blase!

Soweit zu den Basics – bei Inkontinenz, Überaktiver Blase und Senkung lohnt es sich, noch genauer über das Toilettenverhalten zu sprechen.

Inkontinenz und Sport

Auch Frauen, die nie geboren haben, die jung und gesund sind, sind gar nicht so selten von einer Belastungsinkontinenz betroffen. Insbesondere, wenn sie Leistungssport betreiben. High impact Sportarten, wie Trampolinspringen (80% der Trampolinspringerinnen berichteten in dieser Studie von Inkontinenz!), Turnen, Rhythmische Gymnastik, Ballsportarten, Ballett und Sprungsportarten/Leichtathletik stellen eine große Herausforderung für den weiblichen Beckenboden dar. Leider wird in den Trainings nur selten Beckenbodentraining angeleitet und erlernt. Denn auch hier zeigt sich: Physiotherapie und fachgerechtes Beckenbodentraining zeigt bei betroffenen Sportlerinnen super Ergebnisse.

Junge, sportliche Frauen müssen keine Einlagen tragen.

Beckenbodentraining sollte auch in den Hochleistungssport integriert werden (Photo by Pexels.com)

Nicht zuletzt bleibt aber auch anzumerken, dass der Beckenboden/der Körper nicht für Hochleistungssport gebaut ist. Beispielsweise ist leistungs- und wettkampforientiertes Trampolinspringen für den Körper nun mal alles andere, als eine artgerechte Belastung. Dem muss man sich bewusst sein. Beckenbodentraining ist dann aber trotzdem ein wichtiger Schutz und Unterstützung für die Beckenorgane. (3) (4) (5) (6)

Studien:

(1) The female pelvic floor – a dome, not a basin. Hjartardottir, Nilsson, Petersen, Lingman. AOGS 2010.

(2) Sapsford RR, Richardson CA, Maher CF, Hodges PW. Pelvic floor muscle activity in different sitting postures in continent and incontinent women. Arch Phys Med Rehabil. 2008.

(3) De Mattos Lourenco TR, Matsuoka PK, Baracat EC, Haddad JM. Urinary incontinence in female athletes: a systematic review. Int Urogynecol J. 2018.

(4) Vitton V, Baumstarck-Barrau K, Brardjanian S, Caballe I, Bouvier M, Grimaud JC. Impact of high-level sport practice on anal incontinence in a healthy young female population. J Womens Health (Larchmt). 2011.

(5) Thyssen HH, Clevin L, Olesen S, Lose G. Urinary incontinence in elite female athletes and dancers. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct. 2002.

(6) Sorrigueta-Hernández A, Padilla-Fernandez BY, Marquez-Sanchez MT, Flores-Fraile MC, Flores-Fraile J, Moreno-Pascual C, Lorenzo-Gomez A, Garcia-Cenador MB, Lorenzo-Gomez MF. Benefits of Physiotherapy on Urinary Incontinence in High-Performance Female Athletes. Meta-Analysis. J Clin Med. 2020.