Postpartale Rektusdiastase – Mut zur Lücke!

Die Rektusdiastase – was ist das überhaupt?

Eine Rektusdiastase kann bei Mann, Kind, Frau, Divers, Jung, Alt, Schön, Schöner und am Schönsten auftreten. Sie kann verschiedene Ursachen haben. Ich möchte mich in diesem Artikel aber auf die postpartale Rektusdiastase begrenzen, die bei Frauen nach einer Geburt auftritt.

Hormonelle Veränderungen, die eine Schwangerschaft so mit sich bringt, wirken sich auf den ganzen weiblichen Organismus aus. Es wird mehr Blut durch die Gefäße gepumpt, das Gewebe wird besser durchblutet und elastisch, Organe werden verschoben und arbeiten auf Hochtouren, Flüssigkeit wird eingelagert, das Gefühlsleben tanzt Tango. Nichts ist mehr wie es vorher war, ein winziger Krümel in der Gebärmutter vermag alles auf den Kopf zu stellen! In kürzester Zeit erlebt die Frau so viel Veränderung – und was ein Frauenkörper da schafft, das ist ja wirklich unglaublich und wunderbar.

Richten wir unseren Fokus aber auf die Bauchmuskeln: In der Schwangerschaft wird die gerade Bauchmuskulatur unter hormonellen Einflüssen und durch mehr oder weniger Dehnung weicher und dünner. Die sonst so feste „Linea Alba“, also die Sehnenplatte, die die Bauchmuskeln senkrecht vom Brustbein bis zum Schambein verbindet, fächert sich auf, sodass die geraden Bauchmuskeln auseinander weichen können. Muskulatur, Sehnen und Bindegewebe werden gedehnt und ausgedünnt, um mehr Raum zu ermöglichen.

Diesen Raum, dieses Nest für das Ungeborene, verdanken wir also auch… (Trommelwirbel) der Rektusdiastase!

Bei all der schlechten Nachrede, die die Rektusdiastase erfährt, ist also wichtig klarzustellen: Eine Rektusdiastase per se ist eine normale, ja eine GUTE Begleiterscheinung einer Schwangerschaft – schließlich wäre ohne ihr nicht genügend Platz für das Baby. Wir wollen diesem „Spalt“ also erst mal liebevoll und dankbar begegnen.

Der Spalt, der bleibt.

Die Rektusdiastase – manchmal auch Rektusphänomen genannt – bildet sich bei vielen Frauen nach der Geburt innerhalb von 8-12 Wochen zurück. Und das ohne viel Zutun, geradezu beneidenswert spontan und unkompliziert. Und das ist ganz großartig, weil der Körperkern mit der Bauchmuskulatur wieder zu besserer Stabilität und Kraft zurückfinden kann.

Leider bildet sich die Rektusdiastase auch oft nicht so schnell zurück, sondern bleibt – über Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte… – und kann sich unbehandelt sogar verschlechtern.

Die Rektusdiastase fällt vielen Frauen durch eine spitze Bauchform insbesondere beim Aufsetzen oder Aufstehen auf. Entlang der Mittellinie zwischen den geraden Bauchmuskeln bildet sich dann eine Erhöhung, auch Doming genannt. Das kann ein Zeichen sein, dass das Fasziengewebe instabil ist und dem Druck im Bauchraum nicht standhält. Es gibt nach und wölbt sich nach außen.

Frauen spüren diesen Stabilitätsverlust – die Bauchwand fühlt sich weich und verletzlich an. Beispielsweise ist es dann sehr unangenehm, wenn sich das Kind auf ihren Bauch stützt, oder über sie krabbelt. Es fühlt sich an, als gäbe der Bauch keinen Halt mehr – und so ist es auch.

Betroffene bemerken auch ein stark überdehntes Hautbild, möglicherweise einen Nabelbruch, Rückenschmerzen, Beckenbodenprobleme oder einen Bauch, der abends kugelrund wird. Nicht selten werden sie sogar angesprochen, ob sie denn wieder schwanger seien.

Nett gemeint – aber kein schönes Gefühl für die Frau, die wahrscheinlich ohnehin schon mit ihrem Körperbild hadert.

Stillen und Weichheit.

Fühlst du dich bei den oben genannten Symptomen angesprochen? Oder wurde dir bereits eine Rektusdiastase diagnostiziert? Bevor ich gleich ein paar Tipps gebe, möchte ich noch etwas Wichtiges ansprechen: Stillen hat einen großen Einfluss auf das Gewebe und kann bewirken, dass bei deiner Rektusdiastase scheinbar einfach nichts weitergehen will. Selbst wenn du fleißig deine Übungen machst und anfangs Erfolge zu sehen waren – die Resultate an den Bauchmuskeln sind nicht ganz befriedigend.

Solange du stillst merkst du vorerst vielleicht noch keine Verbesserung an deiner Rektusdiastase – es ist trotzdem gut und wichtig, wieder an der Rumpfmuskulatur, Beckenboden etc. zu arbeiten.

Das soll NICHT bedeuten, dass Abstillen für die erfolgreiche Behandlung der Rektusdiastase notwendig oder sinnvoll wäre! Es bedeutet eher, dass du dich entspannen kannst, Mama. Selbst wenn jahrelang gestillt wird, wird das Gewebe nach dem Abstillen wieder fester. Die Dauer des Stillens hat keinen Einfluss. Und der straffe Bauch kann letztendlich warten, denn jetzt gibt es andere Prioritäten!

Die Haltung macht’s!

In der Behandlung der Rektusdiastase möchte man vermeiden, dass zu viel Druck von innen gegen die Bauchwand drückt.

Wir machen einen Versuch: Lass dich im Sitzen einmal so richtig zusammensinken, der Rücken rund, den Kopf auf einem Schildkrötenhals nach vorn geschoben. Fühle deinen Bauch. Ist die Bauchdecke weich? Ich vermute, ja.

Nun richte dich im Sitzen kerzengerade auf. Der Nacken ist lang, du wächst zehn Zentimeter in die Höhe. Mach dich noch zwei Zentimeter größer. Nun fühle wieder deinen Bauch. Ist die Bauchdecke nun fest und etwas flacher? Ja? So fühlt sich Tiefenstabilität an, hurra! Bei einer Rektusdiastase wird sich dabei die Mittellinie aber vermutlich noch immer weich anfühlen. Das bringt uns aber nicht aus dem Konzept.

Achte im Sitzen – und im Stehen – also auf deine Haltung! In aufgerichteter Position sind deine tiefen Bauchmuskeln aktiv und beschützen dein Bindegewebe und Beckenboden vor Drücken im Bauchraum.

Gewöhne dir im Alltag außerdem den Lagewechsel über die Seitenlage an. Wenn du aus dem Bett oder von einer Matte aufstehst, drehe dich erst zur Seite und richte dich anschließend auf. Genauso auf dem Retourweg: Zuerst in die Seitenlage, dann auf den Rücken drehen. So werden unnötige Drücke im Bauchraum vermieden.

Die Do’s and Don’ts bei Rektusdiastase: Gutes Training, schlechtes Training.

Die #Rektusdiastase ist auch in sozialen Medien ein heißer Hashtag und auf Instagram gibt es viele Rektusdiastase-Spezialisten. Manche haben sich bestimmt super mit dem Thema befasst. Andere präsentieren ihren Followern aber Übungen oder Onlinekurse, die nicht für jede Frau geeignet sind und Beschwerden sogar verschlimmern können!

Manche Rektusdiastase-Konzepte oder Kurse vergessen komplett auf den Beckenboden. Es werden Übungen angeleitet, die bei einem geschwächten Beckenboden sogar Beschwerden wie Inkontinenz oder Organsenkung auslösen könnten.

Begib dich besser in gute Hände. In der Therapie einer postpartalen Rektusdiastase reicht es nicht, nur den „Spalt“ zu tasten. Der ist in Wahrheit gar nicht so interessant. Eher der Zustand und die Spannkraft des Gewebes darunter. Wir werfen außerdem einen Blick auf den Beckenboden. Dann prüfen wir die Statik, die Stellung der Rippen, die Atmung, das Zwerchfell, Faszienzüge, eventuelle Kaiserschnittnarbe und muskuläre Dysbalancen.

Nur so können letztlich gezielte Übungen angeleitet und die gesamte Rumpfkapsel stabilisiert werden.

Nun noch ein Wort zu den Don’ts: In der Kräftigung der Bauchmuskulatur sollte (anfangs) Abstand von den „Klassikern“ genommen werden. Gerade Bauchmuskeln sollen auf keinen Fall isoliert trainiert werden! Crunches, Klappmesser und Sit-ups sind bei einer unbehandelten Rektusdiastase ein No-Go! Generell gilt: Sobald der Rumpf in einer Übung gebeugt wird, können tiefliegende Bauchmuskeln nicht mehr effizient spannen. Dann richtet sich die volle Belastung auf die geraden Bauchmuskeln und den Beckenboden.

Auch Liegestütze und Planking können anfangs noch zu viel sein. Dies muss ganz individuell beurteilt werden.

Manche „Konzepte“ arbeiten hingegen ausschließlich mit tiefliegenden Bauchmuskeln, insbesondere dem Transversus Abdominis. Dabei werden über den Tag verteilt sehr, sehr viele Bauchspannungen durchgeführt. Manchmal sogar in Kombination mit einem Bauchgurt. So wird allerdings viel Druck im Bauchraum aufgebaut. Auch da solltest du vorsichtig sein – es ist wie gesagt sehr ungünstig, den Beckenboden und umliegende Muskulatur links liegen zu lassen.

Es lässt sich nicht verallgemeinern, welche Übungen bei deiner Rektusdiastase gut für dich geeignet sind. Dafür muss im Einzelsetting beurteilt werden, wie sich deine Muskulatur während der Übung verhält, wie weit die Tiefenstabilität vorhanden ist, ob es andere Baustellen gibt, wie sich deine Atmung verhält und – ganz einfach – ob die Übung überhaupt richtig durchgeführt wird. Daraus kann dann ein individueller Übungsplan erstellt werden.

Achte jedenfalls darauf:

  • Dass du bei Übungen nicht die Luft anhältst.
  • Dass du Übungen im Stütz (Liegestützposition) in erhöhter Position machst, zum Beispiel gegen den Tisch oder Sessel.
  • Dass du den ganzen Körper ins Programm integrierst, auch den Beckenboden.
  • Dass du deinen Sport zuerst mit einem Aufbauprogramm vorbereitest, denn die Rektusdiastase könnte sich verschlimmern, wenn der instabile Rumpf im Sport überlastet wird.
  • Dass du Übungen abbrichst, wenn dir auffällt, dass dein Bauch dabei das oben genannte Doming zeigt.
  • Dass du eine Therapeutin findest, der du vertraust.

Zum Ende der Therapie machen wir den Schritt ins Training (falls gewünscht). Wenn du eine bestimmte Sportart wiederaufnehmen möchtest, bereiten wir sportartspezifisch vor. Dann kann gezielte Kräftigung der geraden Bauchmuskeln wiederum sinnvoll sein. Aber eben mit eingehender Vorbereitung.

Wie ist das mit Hilfsmitteln, wie einem Bauchgurt?

Prinzipiell wollen wir in der Therapie Stabilität und Kraft wiederherstellen, ohne Zuhilfenahme eines Gurts. So ist garantiert, dass sich der Körper in seinem eigenen Tempo wieder regeneriert.

Im englischsprachigen Raum ist es üblich, kurz nach der Geburt einen Bauchgurt anzulegen, um die „Taille wiederherzustellen“. Dies wird splinting („Schienen“) genannt. Frauen legen den Bauchgurt dann oft schon im Wochenbett an.

(Nicht nur) ich halte das für sehr gefährlich.

Nimm einen leicht aufgeblasenen Luftballon. Drücke ihn in der Mitte zusammen. Wohin weicht die Luft, wogegen richtet sich der Druck? Nach oben und nach unten. Gegen das Zwerchfell also und gegen den Beckenboden. Dies kann Schäden am Beckenboden verursachen, die wir möglicherweise nicht mehr rückgängig machen können!

Und mal ehrlich – was soll dieser Stress möglichst bald wieder so auszusehen, wie vorher? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit! Kein Körper sieht nach der Geburt aus, wie vorher. Wäre ja auch schade.

Splinting – ich halte es für ein Produkt eines gesellschaftlichen Druckes und einer Erwartungshaltung gegen Frauen, die zu schweren Problemen führen können.

Wenn die Geburt aber schon lange zurückliegt (mindestens 6 Monate, besser ein Jahr), sieht die Sache aber schon wieder anders aus. Dann nehme ich in der Therapie manchmal einen Bauchgurt dazu. Denn meine Erfahrung hat gezeigt – manchmal braucht das Bindegewebe einfach externe Hilfe.

Ich verwende den Bauchgurt allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen, wenn ich die Gesundheit des Beckenbodens abgeklärt habe und nur als leichte Unterstützung. Dann, manchmal, kann ein Gurt ein wertvoller Begleiter in der Therapie sein.

Rektusdiastase-Operation: der einfachere Weg?

Nein. Erst mal nein.

Die Operation einer Rektusdiastase ist die allerletzte Option, wenn bestenfalls schon ein paar Jahre nach der Geburt vergangen sind und schon lange abgestillt ist. Wenn der Kinderwunsch endgültig abgeschlossen ist und alle Therapieoptionen ausgeschöpft sind und nur, wenn der körperliche und/oder psychische Leidensdruck entsprechend hoch ist. Nur dann ist es eine Überlegung, sich an eine dementsprechend erfahrene Chirurgin zu wenden.

Eine Rektusdiastase gehört aber vorerst in die Hände einer guten Therapeutin, so viel steht fest. Denn auch eine OP garantiert keinen Erfolg. Auch hier gibt es eine Rezidivrate und Komplikationen, die nicht zu unterschätzen sind.

Rektusdiastase und der psychische Druck.

Die psychische Belastung ist oft das Hauptproblem der Rektusdiastase. Es ist dieser Bauch, der einfach nicht mehr zu einem selbst gehört. Dieses andere und unsichere Gefühl der Bauchwand. Scham, sich vor seinen Liebsten zu zeigen. Verletzende Kommentare von Außen. Oder von Innen.

Lass mich dir sagen: Es braucht Zeit. Es wird besser. Manchmal braucht es Monate, manchmal braucht es Jahre – so unterschiedlich sind wir Frauen.

Und zum Schluss das Wichtigste: Der (kleine) Spalt kann bleiben. Sehr wahrscheinlich wird er das sogar. Wir werden ihn auch nach erfolgreichem Therapieabschluss noch tasten können. Die Haut wird und darf faltig bleiben – das ist die wunderschöne Realität, so sieht der Bauch einer Mutter aus! Auch der Nabel darf jetzt anders aussehen.

Das Gewebe zwischen den geraden Bauchmuskeln wird aber wieder fest sein und die Bauchdecke wieder stabil. Der Spalt wird nicht mehr so tief sein, weil die Bauchmuskeln wieder gut zusammenarbeiten. Mit oder ohne Spalt – die Bauchdecke ist wieder stabil. Und das war unser Ziel.

Ein Bauch mit Rektusdiastase kann flach, stark und muskulös werden und der Körper wieder sportlich. Und tief drinnen bleibt ein kleiner Spalt und das ist okay. Er ist deine Erinnerung an dein kleines Wunder, eine Erinnerung, die dir immer bleiben wird.

Und das ist doch schön, oder?

Anmerkung zum Gendern: Dem Lesefluss zuliebe verwende ich im Text die weibliche Form. Alle Geschlechter sind gemeint, aber gender is sowieso fluid. ❤